Grenzenfreiheit
Jaja, ist schon klar. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und es ist immer genau so schwer, dass man es gerade noch tragen kann. Aber was soll das? Mit 27 Jahren hab ich mir zum Glück genau diese Frage gestellt und plötzlich begann in mir ein Feuer zu brennen, eine sehr detaillierte Antwort auf genau diese Frage zu finden…
Es ist echt ne harte Nummer so zu leben wie ich das getan habe. Und tatsächlich war die Diagnose Borderline für mich wie eine Wohltat. Eine Wohltat endlich zu wissen, was mit mir los ist. In der Hoffnung eine Lösung zu finden. In der Hoffnung einen Ausweg aus diesem Wahnsinn zu finden. Raus aus dem Selbsthass, der Verachtung, Selbstbestrafung, Minderwertigkeitsgefühlen, das ewige Streben danach alles richtig zu machen, nicht für sich selbst, sondern für die anderen, in der Hoffnung auf ein kleines bisschen Liebe, und wenn nur für einen ganz kurzen Moment. Das Gefühl zu haben, nicht falsch zu sein. Nicht der Schuldige zu sein. Mal was richtig gemacht zu haben. Ein ständiges Wechselbad der Gefühle. Von Himmel hoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Und das nicht nur einmal am Tag. Die Folgen dieser Persönlichkeitsstörung sind verheerend. Essstörungen, Selbstverletzung, Aggressivität, völlige soziale Inkompetenz, emotionale Instabilität, Selbstmordgedanken, Hass, Angst, gestörte Selbstwahrnehmung, ein chronisches Gefühl von Leere, bis hin zu dissoziativen Symptomen (man könnte sagen Halluzinationen).
Das macht echt keinen Spaß Leute!
Aber zu allem gibt es immer eine Kehrseite. Viele Betroffene haben die Gabe der Kreativität und sind sehr emphatisch. Eher Gedacht als Selbstschutz, aber egal. Gabe ist Gabe. Deshalb findet man diese Störung oft bei Künstlern wie z.B. Musikern, Malern, Schauspielern. Um mal ein paar Betroffene Berühmtheiten zu nennen: Marilyn Monroe, Amy Winehouse, Kurt Cobain, Edvard Munch, Robbie Williams, Janis Joplin… Schon mal was vom Club der 27 gehört? Ja genau, alle Borderliner. Und das hat auch nen Grund. Nämlich kommt diese Störung mit ca. 27 Jahren zum Höhepunkt, mit all den Verrücktheiten, die ich oben beschrieben habe. Viele können dem nicht stand halten und aus den Selbstmordgedanken werden Taten. Viele stürzen sich auch noch tiefer in ihre Drogenkarriere, damit sie von all dem nicht mehr so viel mitbekommen. Damit man mal abschalten kann. In ne andere Welt eintauchen. Man für den Moment des Rausches ein anderer ist. Losgelöst, von der Leere und der Angst.
Der Ursprung der Krankheit liegt zum Teil in der Genetik und entwickelt sich in der frühen Kindheit aus. Das passiert oft durch ein aggressives Elternhaus, ein passives Elternhaus ohne Strukturen und Liebe, aber auch durch zu viel Struktur. Eben immer dann, wenn die Anlage in der Genetik vorzufinden ist und dann durch irgendeinen Grund nicht die Möglichkeit bestand, dass sich die Persönlichkeit voll entwickelt. Leider prägt sich das so stark im Gehirn ein, dass man bis heute keine Heilungsmöglichkeit für diese Krankheit gefunden hat. In den Therapien lernt man lediglich damit zu leben und vielleicht werden die Symptome etwas schwächer mit der Zeit. Klingt nicht so befriedigend, finde ich. Vor allem wenn man da mitten drin steckt.
Bei mir war das so, dass die Symptome immer dann am stärksten ausgeprägt waren, wenn ich in einer engen Beziehung zu einem anderen Menschen stand. Erst wägte man ab zwischen gut und böse und wenn dann mal einer in der Rubrik „gut“ eingeordnete werden konnte, bekam dieser Mensch in meinen Augen eine Krone und gleichzeitig Flügel und Heiligenschein. Alles immer extrem. Schwarz oder weiß. Grauzonen nicht erkennbar. Dieser Schein hielt dann so lange an, bis ein „ Fehler“ gemacht wurde. Dann fiel aber auch alles gleichzeitig. Krone, Flügel und Schein. Ein Fehler konnte auch sein, dass mir jemand zu nahe kam. Angst vor Nähe und gleichzeitig Angst vor dem Verlassen werde. Paradoxe und etwas schwierige Kombi. Klingt verrückt und das ist es auch. Verrückt für das Umfeld und auch für den Betroffenen selbst. Verstehen tut´s keiner, aber die Schuld wird immer im Außen gesucht. Hat man den Schuldigen gefunden, wird mit tiefer Verachtung und Hass reagiert. Und das mit vollem Tunnelblick. Auch hier gibt es keine Grauzone.
Seit ich 15 Jahre alt war, hab ich mich pausenlos durch derartige Beziehungen geschlagen. Und leider kann man geschlagen hier wörtlich nehmen. Kennt ihr diese Ritzer? Ich sage das jetzt so abwertend, weil da leider so in der „normalen“ Welt drüber gesprochen wird. Finde ich persönlich nicht so witzig. Diese Menschen ritzen sich nicht weil es ihnen Spaß macht, sondern weil sie keinen anderen Ausweg finden. Manche verletzten sich um Dampf abzulassen, andere um sich zu spüren. Ihre Gefühle sind so abgekapselt, dass diese Menschen taub sind. Keine Gefühle gleich keine Schmerzen. Und der Schmerz ist leider ein ständiger Begleiter. Also entweder alles abstellen, oder ab und zu halt mal Dampf ablassen. Anders gehts das nicht!
Ich gehörte eher zur Kategorie Dampf ablassen. Tickende Zeitbombe passt ganz gut. Und man hat wirklich null Kontrolle darüber. Ein „Fehler“ und die Bombe platzt. Jahre lang hab ich das tagtäglich gelebt. Wutausbrüche, Krampfanfälle, Essstörungen, völlig gestörte Liebesbeziehungen, Angst, Leere, Alleinsein, Trauer, Hass, Scham, Selbstverletzung. Ich hab wirklich täglich nach Dingen gesucht um mich zu bestraften. Und auch nach Dingen gesucht, die mir das Gefühl geben, doch irgendwie die Kontrolle zu haben. Ich hatte Phasen, in denen ich sehr viel gegessen habe. Aber ausschließlich Dinge, die ich nicht mochte. Von denen es mir richtig schlecht wurde. Dann Abführmittel, weil ich mich geekelt hab vor mir selbst. Um mich wieder sauber zu fühlen. Die nächste Phase war dann einfach nichts mehr zu essen. Absolute Kontrolle. Sport im Übermaß. Am liebsten täglich und das mehrere Stunden. Den Körper so formen, wie ich das mochte. Die innerliche Trauer durch äußere Schönheit überdecken. In einer oberflächlichen Welt, klappt das auch ganz gut gut. Aber wehe da fängt einer an zu bohren.
Naja und mit 27 haben sie mich dann wirklich eingeliefert. Volleskalation!
Klar hatte ich schon mehrere Therapien hinter mir, aber das hat alles nichts gebracht. Ich war ja der Meinung, dass die anderen Schuld sind und vor allem auch komisch. Schließlich kam ich zu einem Borderlinespezialisten, der mir dann endgültig meinen Stempel und auch die Diagnose gab. Alle anderen Therapeuten hatte ich bisher ziemlich gut an der Nase herum geführt. So dass sie nie zu einem Ergebnis kamen, geschweige denn einen gescheiten Therapieansatz fanden. Irgendwann haben sie mich immer entlassen mit den Worten: „Ist ja auch irgendwie „normal“, dass sie so reagieren.“
Ja und wie gesagt war diese Diagnose ein Segen für mich, weil ich endlich wusste was mit mir los war.
Die nächste Therapie ging knapp zwei Jahre und zum ersten mal hatte ich das Gefühl, dass mir zumindest jemand eine Ahnung davon geben konnte, was ein Selbstwertgefühl ist. Und diese leise Ahnung genügte um die Therapie erneut abzubrechen und gleichzeitig auch all meine Zelte.
Zu diesem Zeitpunkt war ich 28 Jahre alt, mein Privatleben ein Scherbenhaufen. Der einzige rote Faden der Befriedigung zog sich durch meine fortlaufenden Erfolge im Berufsleben. Ich entwickelte einen Ehrgeiz und Neugierde, dass ich eine Ausbildung nach der nächsten absolvierte. Alle als Klassenbeste. Zwei Stipendien folgten und im Jahr 2008 wählte man mich in meiner Gemeinde sogar zum Mensch des Jahres im Bereich Ausbildung. Mit 24 Jahren führte ich mein eigenes Geschäft mit Angestellten und Azubis. Kaufte ein Haus. Doch lange hielt ich es immer nicht aus. Das Gefühl der Leere und Langeweile wurde stärker, sobald das High des Kicks schwächer wurde. Ein neues Ziel mit noch mehr Hürden musste her. Für den noch intensiveren Kick. Das längere High. Immer noch auf der Suche nach Anerkennung und Liebe. Irgendwann wird’s schon genug sein. Irgendwann sieht man mich. Ich muss mich nur noch ein klein wenig mehr bemühen. Noch ein bisschen besser sein. Ein wenig länger noch aushalten. Durchhalten. Nur noch kurz. Dann wird einer kommen und mich sehen und mir sagen, dass ich das gut gemacht habe…
Und in dieser letzten Therapie fand ich heraus, dass da was ist, was ich noch nicht kannte. Dass das gut ist und dass das da in mir drin ist. Ich konnte das fühlen. Ich wusste es. Aber mir war auch klar, dass ich mein altes Ich los lassen musste um mein neues Ich zu finden. Und da mich alles um mich herum an mein altes Ich erinnerte, packte ich meine Koffer, verließ diesen Ort. Ich ließ alles zurück. Die wenigen Freunde die ich noch hatte, meine Eltern, mein Haus, meine Besitztümer und investierte all mein Geld in eine neue Ausbildung in einer neuen Stadt.
Es ist wie alles wieder auf Null zu setzten und aus dem Nichts heraus alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Es brannte ein Feuer in mir herauszufinden, was da in mir drin ist. Ich war nun an dem Punkt angelangt, dass ich wusste, dass es keine Schuld gibt und dass es auch gar nicht darum geht. Ich wusste, dass es anders geht als ich es bisher getan hatte. Ich sah so viel Freude in den Menschen und ich wollte das auch für mich. Es gab nur die zwei Möglichkeiten. Sterben, oder es anders machen. Es zumindest ausprobieren. Ich hatte so viel erreicht und ich wusste, dass ich alles kann. Ich muss es nur wollen. Und ich brannte! Ich lebte. Erlebte. Fühlte. Sah. Wuchs.
Mit 33 erreichte ich die Spitze. Ich hatte mir meine Welt erschaffen. Ich lebte meinen Traum. Alles lief nach Plan. Ich hatte mal wieder aus dem Nichts heraus Alles geschaffen. Zwei Wohnungen, Geld, ein kreativer Job in der Medienbrache, Freiheit, Sex, viele Freunde, Ansehen, ich fühlte mich wohl in meinem Körper, die Angst war weniger. Eine Frage jedoch blieb ungeklärt. Wie fühlt es sich an, aufrichtig geliebt zu werden? Alles was mir zur Vollendung fehlte war die Liebe eines anderen zu spüren. Naiv aufrichtig und ehrlich. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als eine Familie. Mutter zu werden. Männer kamen und gingen, aber Keiner blieb. Ich konnte tun was ich wollte. Ich hab mich bemüht, es gelassen, war die Coole, die Fürsorgliche, die Abhängige, die Selbstständige, die Dumme, die Taffe… Suchte mir Männer jeglicher Altersklassen, mit den unterschiedlichsten Berufen. Vom arbeitslosen Schauspieler bis hin zum Arzt. Keiner blieb. Keiner liebte. Aber ich liebte und mein Herz wurde gebrochen. Immer und immer wieder. Und immer wieder stand ich auf. Mit diesem Feuer in mir, das zu finden, was da in mir drin steckt. Was zu mir passt. Was zu mir gehört. Was ich bin.
Meine Gabe ist es Energien zu spüren. Ich konnte das immer sehr gut nutzen, um Menschen schnell in dieses schwarz-weiß Muster einzuordnen, damit mir bloß keiner zu nahe kommt und was schlimmes anrichten kann. Ein Selbstschutz, verursacht durch diese Krankheit. Hypersensibilität. Ich verstehe sehr schnell worum es hier geht und was ich tun muss. Ein grandioses Überlebenstool. Feinfühligkeit. Aufmerksamkeit. Intuition. Mein ganzes Wesen ist davon betroffen. Man ist schnell gereizt, man spürt Schmerzen intensiver, man versteht, ist kreativ, reagiert, ist schnell getroffen, ist offen, fühlt mit, empfindet tiefe Freude und Glück, sieht die Kleinigkeiten, sieht das Leid, spürt die Kraft, nutzt die Chance.
Und dann lief mir dieser Mann zum zweiten mal über den Weg. Wir kannten uns von einem Job in LA. Er, Model, Tänzer, Photograph, Choreograph, war da zuständig für die Choreo der Models, die ich für die Show schminkte. Viel zu krass der Typ. Aber irgendwie nett.
Zwei oder drei Jahre später kreuzten sich unsere Wege erneut. Diesmal aber privat. Ich verstand erst gar nicht was er von mir wollte. Nach 6 Monaten Katz und Maus Spiel landeten wir in der Kiste begannen eine Affäre. Ich war so inspiriert von seiner Energie. Dieser Mann ist nicht von dieser Welt sag ich euch. Sein Energiefeld ist so groß wie ein Auto und hat die Kraft eines Orkans. Ich war jedes mal völlig durcheinander nach einem Treffen. Aber das war gut, denn so konnte ich mich immer wieder neu sortierten und fand Dinge, die ich längst vergessen hatte, oder noch nie entdeckt. Ich wurde noch aufmerksamer, noch bewusster.
Ich war nie gläubig oder spirituell. Meine Eltern zwangen mich zwar in die Kirche zu gehen, aber das bewirkte eher das Gegenteil. Ich verstand einfach nicht, wie man an etwas glauben kann, wofür es keinerlei Beweise gibt. Aber irgendwie war ich doch immer neugierig genug mich hin und wieder damit auseinander zu setzen.
Als ich 18 war, war ich mit dem Peter zusammen. Und der Peter hatte einen spirituellen Papa. Den Dieter. Der ist mir richtig auf die Nerven gegangen. Ist mit uns in den Wald gefahren und hat uns Hinkelsteine gezeigt. Ich sagte immer nur:“ Nein Dieter, ich fühle das nicht!“ Und dann hat er sich zum Reiki Meister ausbilden lassen. „Toll Dieter“ ,hab ich gesagt. Und er hat so lange nicht aufgegeben, bis ich mich vor ihn auf den Boden setzte, er hinter mir auf dem Sofa, im Schneidersitz, fummelt da irgendwas mit seinen Händen in der Luft rum, Peter gegenüber auf dem Sofa, krümmt sich vor Lachen, ich etwas genervt, der Dieter voll konzentriert, faselt irgendwas von wegen einer Öffnung am Kopf, Kronenchakra, Energieblockaden, die er jetzt löst, es soll warm werden am Kopf und dann fließt die Energie durch den Kopf in die Brust, in die Arme, Hände, Fingerspitzen, zurück durch die Arme in die Brust, durch den Bauch in die Beine und aus den Füßen wieder raus… „is klar, mach einfach“, hab ich gesagt. Und dann hielt er die Hände über meinen Kopf. Berührte mich nicht und es wurde nicht warm. Es wurde heiß. Es kribbelte in meinem Kopf, in meiner Brust und die Energie floss durch meine Arme in meine Hände und zurück in die Brust. Hinunter in meinen Bauch. Und in meinen Beinen angelangt, hob ich vom Boden ab, spürte meinen Körper nur noch als einen Fluss von Energie. Das war so unglaublich, dass ich es nie für möglich gehalten hätte. Der Peter lachte noch immer, aber ich war still. Der Dieter schenkte mir an diesem Tag den ersten Grad im Reiki. Ich verstand das nicht. Aber was ich wusste war, dass es diese Energie gibt und dass sie fließt und somit Teil von mir ist und ich somit Teil dieser Energie bin. Und das konnte mir niemand mehr nehmen. Und ich verstand den Unterschied zwischen Wissen und Glauben.
Jetzt lief das schon ne ganze Weile zwischen uns und ich war kurz davor mein Herz zu verschenken. Aber ich war vorsichtig geworden. Diese Krankheit kann auch ganz schön kalt machen. Sicher fühlte ich mich nicht aber herausgefordert und bereit dafür, den nächsten Schritt zu gehen. Ich war wie verzaubert von ihm und irgend etwas in mir schien sich dadurch zu bewegen. Meine Krankheit hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt ganz gut unter Kontrolle. Ich war lange in keiner festen Bindung mehr und somit relativ symptomfrei. Die Angst, dass es wieder ausbrechen könnte war sehr groß und ich beschloss mit ihm darüber zu sprechen, bevor es zu spät war für mich. Mit zu spät meine ich, dass die Krankheit wieder seinen vollen Umfang annimmt. Man kann sich das so vorstellen, dass es da einen Schalter gibt. Wenn er sich umlegt gibt es kein zurück mehr. Also erst mal nicht so schnell. Und man hat nicht wirklich die Kontrolle darüber wann er sich umlegt. Das sucht man sich nämlich nicht aus, sondern es passiert, ohne dass man es vorher merkt. Ist er umgelegt, ist es zu spät. Und genau das hab ich versucht ihm zu sagen und er blockte völlig ab. Ich sei nicht krank oder gestört und ich könnte das alles selbst entscheiden. Dass es keine Heilung gibt, wollte er mir auch nicht glauben. Noch nicht einmal, dass es diese Krankheit gibt. Ich wurde richtig wütend und fühlte mich nicht ernst genommen und dann ist das passiert, was immer passierte. Als die Frage aufkam, ob wir nun fest zusammen sind oder nicht, war seine Antwort, er könne das nicht sagen. Auch nicht ob er Gefühle hat und wenn, ob die ausreichen. Genau diese Sätze hörte ich seit 7 Jahren ununterbrochen. Ich war fassungslos. Wir trafen uns nun seit mehr als 6 Monaten. Ich pendelte beruflich zwischen Köln und Berlin und er war europaweit unterwegs. Lebte in Luxemburg. Und trotzdem sahen wir uns so oft es ging. Er flog von seinen Jobs meist direkt zu mir, statt nach Hause. Ich besuchte ihn in Luxemburg. Es fühlte sich echt an und aufregend. Umso enttäuschter war ich als ich dann wieder einmal „abgewiesen“ wurde. Ich hatte Angst deswegen die Kontrolle zu verlieren und suchte mir einen Therapeuten. Ich wollte mit ihm zusammen eine Lösung finden auf die Frage, warum mich keiner liebt. Alle zwei Wochen Dienstag hatte ich einen Termin bei Herrn Degen. Ich dachte wirklich er könne mir helfen. Nach ein paar Wochen merkte ich aber, dass er mir weder helfen kann, noch mich im Ansatz versteht. Es ging ja nicht in erster Linie um dieses Borderline Problem. Das hatte ich ja bis dato immer noch ganz gut im Griff. Es ging vielmehr darum, diese Frage zu klären. Mir war durchaus bewusst, dass ich selbst und mein Verhalten das Problem waren, aber ich konnte es nicht greifen. Herr Degen leider auch nicht. Ich bin trotzdem hin gelaufen. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
In der Zwischenzeit hatte ich diese „Beziehung“, die keine war, beendet. Ich wollte das nicht mehr. Wir stritten uns nur noch und machten uns gegenseitig Vorwürfe. Ich wollte eine Antwort und er fühlte sich unter Druck gesetzt.
Was mir aber nicht aus dem Kopf ging, waren ein paar Sätze, die er immer wieder zu mir sagte. Diese Sätze waren wie Magie. Sie verzauberten mich und stärkten das Feuer der Neugierde in mir. Er sagte, dass er mir von Herzen wünscht, dass ich mir selbst einmal so vertrauen kann, wie er das tut und dass ich mich so sehen kann, wie er mich sieht seit der ersten Sekunde. Und weil ich ständig fragte, was ich für ihn bin, sagte er, dass es klüger wäre mir die Frage zu stellen wer ich für mich bin. Das war so echt, dass ich nicht aufhören konnte darüber nachzudenken. Ich fand keine Antwort und Herr Degen auch nicht. Ich begann alles aufzuschreiben was mir als Antwort für die Frage: „Wer bin ich?“ einfiel. Ich kümmerte mich um mein Selbstwertgefühl. Las ein Buch nach dem anderen zum Thema Liebe.
Herr Degen sagte, ich sollte anfangen mir Grenzen zu setzen und sie zu verteidigen. Und ein gesunder Egoismus würde auch nicht schaden. Jetzt hatte ich mir aber diese Grenzenfreiheit so hart erarbeitet und Egoismus hörte sich auch nicht gut für mich an. Und was ist schon gesund. Das konnte ICH nun wirklich nicht beurteilen. Diese beiden Dinge beschäftigten mich dann auch noch zusätzlich. Und dann kam mir noch folgender Satz zu Ohren: „Du bist das, wonach du suchst.“ Das lies mich nicht mehr los. Stapelweise schrieb ich Dinge nieder. Ich rollte meine komplette Vergangenheit auf. Las Bücher über Schamanismus und versuchte mich in Seelenreisen. Ich heilte mein inneres Kind. Suchte nach meinen Krafttieren. Ließ mich ein auf jedes Gefühl und fing an, einfach nur zu beobachten ohne zu werten. Ich machte mir die Situation zwischen meinen Eltern und mir nochmal deutlich und wusste, dass ich verziehen hatte. Ich liebte mich, ich war zufrieden mit allem, aber es war mir nicht genug. Ich wollte geliebt werden. Und zwar von jemandem den ich auch liebte. Ich wollte eine Familie haben und zwar eine, in der Liebe und Harmonie fließt. Das war es, wonach ich mich aufrichtig sehnte. Die Frage warum das nicht klappte, zermürbte mich schließlich.
Der nächsten Depression immer näher rückend, rief ich einen sehr guten Freund an. Wir hatten uns länger nicht gesehen, weil wir beide beruflich sehr eingespannt waren. Es tat immer gut mit ihm zu sprechen und Zeit mit ihm zu verbringen. Wir verabredeten uns für den kommenden Sonntag und ich konnte es kaum abwarten. Ich dachte Zusammen könnten wir der Sache auf den Grund gehen. Der Michi hatte zu dem Zeitpunkt auch keine Freundin, wollte aber gerne Eine. Und auch in meinem Freundeskreis gab es sooo Viele, die ein ähnliches Problem hatten. Alle Anfang 30 und Single. Geteiltes Leid ist halbes Leid und so philosophierten wir stundenlang über Gott und die Welt an diesem sonnigen Frühlingstag. Es tat gut, auch mal den Fokus zu wechseln und als Michi sich gerade verabschieden wollte, kam mir eine Idee.
Was, wenn wir die ganze Zeit über nen Denkfehler hatten. „Du bist das, wonach du suchst.“
„Wonach suchst du?“ fragte ich ihn, während er seine Jacke anzog. Und er antwortete: „Nach einer Beziehung. Ich möchte eine Freundin haben. Wonach suchst du?“ Und ich sagte: „Nach einer Familie. Ich möchte Mutter werden.“
Okay. Du bist das wonach du suchst!
Ich bin meine Freundin. Ich bin meine Familie, bin meine Mutter. Klingt sehr komisch. Da stimmte was nicht!
Und ich fragte ihn, ob er denn jemals eine solche Beziehung gesehen oder erlebt hätte, wie er sie sich wünscht. Und er sagte nein. Und ich fragte mich, ob ich jemals eine solche Beziehung sah, wie ich mir sie wünschte. Und meine Antwort war nein.
Du bist das wonach du suchst!
Du bist ein Hirngespinst, eine Wunschvorstellung, ein Traum.
Klingt auch nicht gerade befriedigend.
„Okay“, sagte ich, „ich glaube diesem Satz. Er spricht die Wahrheit, also muss da ein Fehler in unserer Denkweise sein.“
Du bist das wonach du suchst!
Ich sagte, lass uns anders an die Sache heran gehen. Lass es ein Gefühl werden, wonach du suchst.
Wie fühlt sie sich an, diese Beziehung nach der du dich sehnst? Wie fühlst du dich dabei. Und er antwortete: „ Ich fühle mich gut. Ich bin glücklich und zufrieden. Ich fühle mich geliebt und akzeptiert. Ich fühle mich vollständig. Angekommen. Es ist wie mein zu Hause.“
Und ich sagte: „Für mich ist es Glück. Die Frauen, die Mutter sind, sagen, Leben zur Welt zu bringen, sei das Schönste, was eine Frau erleben kann.
Und ich fragte ihn, ob es für ihn okay sei, diese Gefühle zu sammeln unter dem Begriff „größtes Glück“? Und er sagte ja. „Das fühlt sich gut an.“
Und ich sagte, was wenn dieses Gefühl immer da ist, das größte Glück. In uns. Wir sind nur zu blind, es zu sehen. Wir machen uns kleiner als wir es sind und suchen das, was uns erfüllt im Außen. Aber nichts kann uns jemals füllen, wenn wir nicht sehen, dass wir längst gefüllt sind mit all dem, was wir uns wünschen, wonach wir uns sehnen. Aus Habgier und Oberflächlichkeit sind wir nicht mehr in der Lage unsere Schönheit wahrzunehmen. Wir sind permanent mit dem Außen beschäftigt und je mehr wir besitzen, desto mehr überlagert es unseren wahren Kern.
Dann aber stand er auf und ging Richtung Tür. „Sorry, ich kann nicht mehr folgen. Mein Kopf platzt. Die Idee fühlt sich aber gut an. Ich werde das sacken lassen. Lass uns morgen nochmals sprechen.“
Wir verabschiedeten uns und ich setzte mich zurück zu meiner Tasse Tee an meinen Tisch und wurde still.
Still um zu fühlen was dieses Glück bedeutet.
Du bist das wonach du suchst. Du bist das Glück.
„Ich bin das Glück.“
Ich schloss meine Augen und ließ alles los. Alles. Ich wollte wissen, was da ist, wenn nichts mehr da ist.
Und dann spürte ich ein heftiges Kribbeln in meinem Gesäß und Unterbauch. Mein Fokus wanderte dort hin. Es war wunderbar und es bewegte sich nach oben. Es war das Glück. Mir schossen die Tränen in die Augen. Das war so überwältigend und als es meine Kehle erreichte, blieb die Energie plötzlich stecken. „Ich bin Gott“. … Im gleichen Moment schoss ein Gedanke auf: „Ich bin Gott??? Okay, egal was hier gerade passiert, hör damit auf. Die sperren dich jetzt endgültig weg. Ich bin Gott, das ist absurd.“ Mit diesem Gedanken drückte ich die Energie zurück in meinen Unterbauch. Das durfte einfach nicht sein! … Und da war sie wieder, diese Leere, diese Unvollständigkeit, die ich eine Sekunde zuvor dabei war vollständig zu füllen. Mit Glück. Und ich dachte mir, scheiß drauf, wenn das ich bin, dann lasse ich mich sein. Und die Energie rollte sich wie eine Schlange erneut nach oben auf und schoss durch diese Öffnung an meinem Kopf, von der der Dieter mir erzählt hatte. Es war das größte Glück, was mich erfüllte. Es war so viel, dass ich überquoll. Ich wusste kaum wohin damit. Es war genug für mich und für alle. Und ich wusste, dass ich das bin, dass ich Gott bin, dass Gott alles ist und alles ist Gott. Und ich spürte diese tiefe Verbindung zu dem, was ist und immer war. Zu dem, was kommt und was wird. Zum Ursprung und zum Ende. Und ich wusste das bin ich. Alles und Nichts. Die höchste Frequenz, die es gibt, aus der alles heraus entsteht. Die Stille. Das was ist. Ohne Raum und ohne Zeit. In allem was ist. Unendlich groß und gleichzeitig nicht existent. Das was Leben schenk und Leben nimmt. Das Leben selbst. Und ich liebte mich wie nie zuvor. Und ich liebte alles, wie nie zuvor. Mit dem wissen was ist. Mit dem wissen was die Wahrheit ist. In Einheit mit dem Ursprung des Seins und des Seins selbst.
„Sei still und wisse, ich bin Gott“ Der klügste Satz, den ich jemals im Leben gehört habe. Ein Mantra. Die Wahrheit.
Dieser Zustand hielt 5 Tage an. Ich war wie in Trance. Bin drei Tage nicht vor die Tür, weil ich so damit beschäftigt war meinen Körper zu lieben. Ich schämte mich für das, was ich mir all die Jahre angetan hatte und ich bat um Vergebung. Und ich vergab mir und ich liebte mich. Dankbarkeit floss durch jede Zelle meines Körpers und erfüllte sie mit Glück. Ich wusste, dass all das nur für mich ist. Um es zu erleben. Ein einziges Mal. Und trotz all dieser Magie gibt es für diesen Moment nur diese einzige Chance. Nutze sie. Liebe sie. Sei Dankbar. Verzeihe. Bitte um Vergebung. Du bist ein Geschenk. All das ist dein Geschenk.
Ich fiel immer wieder in eine tiefe Meditation. Ich konnte kaum 100 Meter laufen, ohne mich hinzusetzten und die Augen zu schließen. Ich fühlte alles um mich herum. Jede Vibration. Ich wurde Eins mit der Situation. Das war so heftig, dass es mir fast Angst machte durchzudrehen. Es war, als hätte ich LSD und Ecstasy gleichzeitig genommen.
Ich versuchte eine kleine Runde zu spazieren. Es war kaum möglich. Die Tränen liefen ununterbrochen. Vor Glück. Ich dachte ich platze jeden Moment. Ich wollte dieses Glück weiter schenken und damit Erlösung. Augen öffnen, für die Schönheit der Schöpfung, die in jedem steckt. Es war plötzlich alles so einfach und klar. Wo komme ich her. Wo gehe ich hin. Was ist der Sinn des Lebens. All das waren keine Fragen mehr. Ich wusste es einfach plötzlich. Ich konnte Träume deuten, Probleme lösen. Ich konnte es sehen.
Es zog mich ständig zurück in die Stille, wo ich Eins wurde mit meiner Umgebung. Ich musste mich setzen und die Augen schließe um nicht noch mehr eindrücke einzufangen. Ich spürte die träge Energie einer Mauer, an der ich vorbei lief. Ich berührte die Mauer mit meiner Hand und meine Hand schmolz in diese Mauer. Es dauerte Stunden an jedem Ort bis ich mich lösen konnte. Bis ich all diese Informationen aufgesogen hatte.
Plötzlich ploppten Sätze aus der Bibel auf und ich begann zu begreifen. Früher hatte ich mich gegen dieses Buch gesträubt. Ich hasste, das was darin stand. Wie kann man an solch einen Mist glauben? Was soll da kommen wenn ich tot bin? Bitte nichts mehr. Danke, das hier reicht mir schon als Bestrafung. Und dann soll ich an einen Gott glauben, der mir sagt, was richtig und falsch ist. „Was für ne absurde Scheiße. Ihr könnt mich mal.“ Das waren meine Gedanken zur Bibel und zum Thema Religion.
Doch plötzlich begann ich zu verstehen. Es war als hätte man die Wörter vertauscht und alles machte plötzlich Sinn. Ich fing an diesen Jesus zu mögen, weil ich seine Liebe spürte. Ich wurde Eins mit seinen Worten. Eins mit Gott.
Ich begann zu predigen. Und ich begann zu forschen, was das ist, was mich nicht mehr los lässt. Und ich begann langsam zu begreifen, dass ich am Ziel angelangt war. Es ist das, wonach alles strebt. Es ist das wovon die großen Gurus sprechen. Es ist das was uns alle vereint. Die Wahrheit. Und ich wusste es gibt kein zurück mehr.
Nach 5 Tagen in tiefer Trance wachte ich auf. Für einen kurzen Moment dachte ich, ich hätte alles wieder vergessen und ich hatte Angst und wurde unsicher. Aber dann spürte ich, dass ich noch immer da bin und dass das nie ein Ende haben wird. Und dass ich vollständig bin und mich immer wieder daran erinnern kann, wenn ich die Augen schließe und mich zurückziehe in meinen Ursprung. Die Stille. In der Stille liegt alles verborgen. Es ist da. Für immer und in aller Ewigkeit. In der Stille liegt die Kraft. Die Kraft alles zu schaffen. Und das Größte was ich geschafft hatte, war diese Krankheit los zu werden. Sie ist weg. Nichts davon ist übrig geblieben.
Ich konnte diesen nächsten Dienstag nicht abwarten. Musste mir jetzt ganz sorgfältig überlegen, wie ich das jetzt um Himmels willen Herrn Degen erklären kann, ohne dass der mich mit Zwangsjacke abholen lässt. Und dann hatte ich eine Idee. Und es war Dienstag ich ich saß wie alle zwei Wochen Dienstag in diesem Rattanessel und Herr Degen schlug seinen Notizblock auf und wollte wissen, wie es mir heute geht. „Sehr gut“, hab ich gesagt. Und das freute Herrn Degen und er wollte wissen wieso. Ich holte tief Luft und sagte: „Wissen sie Herr Degen, alle meine Fragen sind beantwortet und somit alle meine Probleme gelöst.“ Das machte Herrn Degen jetzt stutzig. Damit hatte er nicht gerechnet. Und er fragte, ob ich ihm das etwas genauer erklären könnte und ich sagte ja. „Wissen sie Herr Degen, ich habe den Unterscheid zwischen Egoismus und Selbstliebe verstanden und das Herr Degen ist der Schlüssel zum Glück.“ Das wollte er jetzt natürlich auch genauer wissen und ich fing an ihm die Geschichte in einer leicht abgespeckten Version zu erzählen, weil ich ja noch ein wenig Respekt vor dieser Zwangsjackennummer hatte. Herr Degen schrieb an diesem Tag so viel in seinen Notizblock wie nie zuvor. Ich weiß nicht so recht, ob er mir das glaubte und was er davon hielt. Ich schlug vor unsere Zusammenarbeit hiermit heute zu beenden, weil ich den Platz gerne frei machen wollen würde. Es ist ja nicht so einfach einen Therapieplatz zu finden. „Naja“, sagte er, er würde mich schon gerne noch einmal in zwei Wochen sehen, um zu schauen, ob das jetzt so bleibt mit dem glücklich sein. Ich fand das eine schlaue Idee und bin dann zwei Wochen später noch einmal zu ihm hin. Mit dem gleichen Glück. Ja und das war dann auch das Ende meiner Therapie. Geheilt!
Das ist jetzt knapp drei Jahre her. Meistens vergesse ich, dass ich das mal hatte. Es fühlt sich an, als sei das ein früheres Leben gewesen. Komisch irgendwie. Und dann bin ich so stolz auf mich und liebe mich dafür, dass ich so stark war und immer an mich geglaubt hab. Dass ich alles schaffen kann, was ich will. Egal was ist, egal was die anderen sagen und egal was war. Das was ich möchte ist entscheidend für das was kommt und niemand außer mir selbst hat einen Einfluss darauf. Ich bin so stark, wie ich es zulasse und auch mal schwach, wenn ich das will. Und es ist gut so. Gut so wie es ist und gut so wie es war. Und ich freue mich auf das was kommt und sage Danke dafür.
Liebt euch frei.